Stauforschung – von Ameisen, Vögeln und Menschenmassen

Wussten Sie, dass es einen eigenen Forschungsgegenstand innerhalb der Verkehrswissenschaften gibt, der „Stauforschung“ heißt? Dieser beschäftigt sich – natürlich – mit Staus, aber nicht nur jenen auf der Straße, sondern auch auf Flughäfen, Eisenbahnschienen, im Luftraum und auf Wasserstraßen. Und auch Themen wie Fluchtwege für Fußgänger werden hier erforscht und für eine praktische Anwendung im Alltag untersucht.

Stauforscherinnen und Stauforscher konnten in den letzten Jahrzehnten, mit steigendem Verkehrsaufkommen weltweit, immer mehr erhellende Erkenntnisse gewinnen. Teilweise haben sie sich aber auch in der Tierwelt umgesehen und mit der Unterstützung von Softwareprogrammen die Entstehung von Stau genauer untersuchen und berechnen können.

Fragen wie diese leiten die Forschungen an:

  • Warum entsteht bei Ameisenstraßen kein Stau?
  • Warum stoßen Vogelschwärme nicht zusammen?
  • Können technologische Anwendungen Staubildung beeinflussen?
  • Welche Rolle spielt die Kapazität der Straße?
  • Wie sehr sind Fahrerinnen und Fahrer selbst für den Stau verantwortlich?

Sie sehen, es gibt viele Zugänge, sich dem leidigen Thema Stau anzunähern. Was Forscherinnen und Forscher aber eindeutig sagen können, ist: Bei Ameisenstraßen und Vogelschwärmen kommt es zu keiner Staubildung und ebenso zu keinen Zusammenstößen, weil die einzelnen Tiere laufend miteinander kommunizieren und das zügige Vorankommen aller im Vordergrund steht. Im Tierreich gibt es keine Raser und Drängler – jedes Tier hält sich an „die Regeln“ und vermeidet dadurch Stau. Aber dazu gleich mehr …

Wie entsteht eigentlich Stau?

s wird Sie nicht verwundern, wenn wir Ihnen sagen, dass es mehrere Faktoren gibt, die einen Stau verursachen können. Die wichtigsten:

  • Statische Staufaktoren: Hier ist es primär die Kapazität der Straße. Diese liegt durchschnittlich bei 1.500 bis 2.500 Fahrzeugen pro Stunde und Spur. So lässt sich simpel berechnen, wo die Grenze eines Streckenabschnitts liegt. Diese Kapazität verringert sich zusätzlich durch variable und punktuelle Staufaktoren.
  • Variable Staufaktoren: Das Verkehrsaufkommen, wie Pendler- und Reiseverkehr, spielt natürlich eine große Rolle, aber auch Regen, Schnee und Glatteis beeinflussen die Entstehung von Stau.
  • Punktuelle Staufaktoren: Hierzu gehören die offensichtlichen Behinderungen im Verkehr durch Baustellen und Unfälle.
  • Psychologische Staufaktoren: Diese begründen sich aus dem Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer.

All diese Faktoren wirken teilweise gleichzeitig auf den Verkehr auf einem Streckenabschnitt ein und verursachen so einen kleineren oder auch größeren Verkehrsstillstand.

Stau durch Kapazitätsgrenzen

Einer der wichtigsten Faktoren der Staubildung ist das Sättigungsproblem, die eingeschränkte Kapazität einer Straße. Auf einem Kilometer Autobahn ist nur ein gewisser Platz vorhanden. Wollen mehr Fahrzeuge gleichzeitig auf diesem Abschnitt fahren, kollabiert das System. Eine wechselnde Fahrgeschwindigkeit der einzelnen Verkehrsteilnehmenden verringert diese Kapazität zusätzlich. 

Ist die Lösung also noch mehr und noch breitere Straßen?

Die Straßenkapazität kann kurzfristig nicht erhöht werden. Straßenbau dauert eben oder ist nicht überall möglich. Daher setzen wir auch auf alternative, innovative Lösungen und Pilotversuche. 

Stau durch falsches Fahrverhalten

Die Entstehung von Stau ist bei einigen der Staufaktoren sehr einfach erklärbar: Ein Unfall, zu starker Verkehr, plötzlich auftretender Starkregen, Baustellen und Spurverengungen – all das ist ersichtlich und nachvollziehbar. Was weniger eindeutig ist, sind die psychologischen Staufaktoren, für die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer selbst – wenn manchmal auch unbewusst – verantwortlich sind. Der Phantomstau, der „Stau aus dem Nichts“, ist eines der bekanntesten Beispiele dafür, wie das Fahrverhalten selbst Stau produziert. Zu den häufigsten Stau-verursachenden Verhaltensweisen zählen:

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Hier ein konkretes Beispiel:

Auf einer viel befahrenen Strecke fährt ein roter Pkw mit 100 km/h. Da er ein anderes Fahrzeug überholen will, schert der Rote auf die linke Fahrspur aus. Das gelbe und blaue Fahrzeug auf dieser Spur müssen durch das Verhalten des roten Fahrers ihre Geschwindigkeit auf 80 km/h drosseln, damit sich dieser überhaupt unfallfrei einreihen kann. Natürlich müssen dann auch alle nachfolgenden Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit reduzieren, um einen Auffahrunfall zu vermeiden und den empfohlenen Sicherheitsabstand einzuhalten. Dieses Bremsen setzt sich wie eine Kettenreaktion fort und verstärkt sich von Fahrzeug zu Fahrzeug (stärkeres Bremsen durch verringerten Abstand), bis am Ende dieser Kette ein Fahrzeug zum Stillstand kommt. Ob dieses letzte Glied aufgrund eines Auffahrunfalls stehen bleibt, ist offen.  

Sie sehen also, ein Stau entsteht nicht aus dem Nichts. Das Schwierige: Die Verursacher dieser Kettenreaktionen sind niemals in den Stau verwickelt. Somit fehlt auch der Lerneffekt komplett. Die Leidtragenden sind immer jene, die sich einem unüberlegten und teilweise gefährlichen Fahrverhalten anpassen müssen, um selbst sicher weiterfahren zu können. Ganz anders als bei den Ameisen also, für die das sichere und stetige Vorankommen aller „Verkehrsteilnehmenden“ das Ziel ist.

Was hier noch dazu kommt, ist die Zeitverzögerung durch das Auflösen des Staus: Es dauert ein bis zwei Sekunden, bis eine Fahrerin oder ein Fahrer am Stauanfang wieder losfährt und so eine Straßenlänge von 5 bis 10 Meter wieder freigibt. Auf diese Weise zieht der Stau mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h gegen die Fahrtrichtung. Es kommt im nachfolgenden Verkehrsabschnitt zu Stau, obwohl die eigentliche Ursache gar nicht mehr gegeben ist.

Wie wird Stau erkannt und gemessen?

Für diejenigen, die sich inmitten eines Staus befinden, ist das Erkennen und Messen desselben sicherlich wenig relevant. Dennoch macht es aus vielen Gründen Sinn hier genauer hinzuschauen: um den nachfolgenden Verkehr etwa zu regulieren oder um problematische Knotenpunkte zu erkennen.

Folgende Möglichkeiten zur Staubeobachtung gibt es:

  • Visuell: Staumelder, Kameras oder auch durch unsere Traffic Manager
  • Stationäre Erfassungssysteme: Sensoren auf der Autobahn
  • Floating Data: Hier werden Mobiltelefone oder speziell eingebaute Geräte (meist GPS) in Fahrzeugen zur Messung der Geschwindigkeit und Reisezeit genutzt. (Datenschutzrechtlich gibt es diesbezüglich immer wieder Diskussionen. Wir als ASFINAG nutzen diese Möglichkeit nicht.)

Neben unseren Verkehrskameras, mit denen auch Sie die Verkehrslage in Echtzeit beobachten können, sind unsere Sensoren ein wichtiges Hilfsmittel für die Regulierung des Verkehrs. Die daraus resultierenden Geschwindigkeitsbeschränkungen sind für viele Verkehrsteilnehmenden leider oft unverständlich.

Wo ist hier ein Stau?

Nicht selten erhalten wir Kundenanfragen, warum denn mittels unserer Verkehrsbeeinflussungsanlagen (VBA) die Geschwindigkeit gedrosselt und „Stau“ angezeigt wird, wenn doch weit und breit keine Behinderungen zu erkennen sind. Genau hier spielen die erwähnten Sensoren eine zentrale Rolle:

Unsere VBAs regeln den Verkehr, indem sie die Daten der Sensoren sammeln, in Bezug zueinander setzen und auswerten. Dabei messen sie etwa die Verkehrsdichte, das gefahrene Tempo und die Wetterlage. Die Anlagen reagieren flexibel auf das Verkehrsaufkommen und die gefahrenen Geschwindigkeiten und schalten so Meldungen automatisch. Der Hinweis „Stau“ kann also bedeuten, dass sich in angrenzenden Streckenabschnitten ein Phantomstau gebildet hat. Damit Sie nicht mit voller Geschwindigkeit auf das Stauende auffahren, wird präventiv darauf hingewiesen und die Geschwindigkeit reduziert. Idealerweise löst sich der Stau auf, noch bevor Sie ihn erreicht haben.

Was also aus Ihrer Perspektive absolut unlogisch erscheint, ist das Ergebnis innovativer, technologischer Verkehrsregulierung. Sehen Sie keinen Stau, war die zeitgerechte Regulierung des Verkehrs wirksam!

Verhaltenstipps bei Stau

Obwohl die Fahrgeschwindigkeit im Stau gering ist, steigt das Unfallrisiko dennoch an – besonders, wenn die Nerven einzelner Verkehrsteilnehmenden blank liegen. Daher möchten wir Ihnen auch einige konkrete Tipps für das Verhalten in Stausituationen geben:

  • Bilden Sie bereits bei stockendem Verkehr die Rettungsgasse. Dabei sind alle Anschlussstellen freizuhalten, damit Einsatzkräfte problemlos vorankommen.
  • Schalten Sie beim Heranfahren an ein Stauende die Warnblinkanlage ein und warnen Sie so den nachfolgenden Verkehr.
  • Halten Sie, wenn sie am Ende eines Staus zum Stehen kommen, einen Abstand von mindestens einer Fahrzeuglänge zum vor Ihnen stehenden Fahrzeug ein, um manövrierfähig zu bleiben und notfalls flüchten zu können.
  • Beobachten Sie den Verkehr im Rückspiegel, solange sich noch Fahrzeuge bewegen.
  • Bremsen Sie überlegt und maßvoll, um ein Auffahren des nachfolgenden Fahrzeugs zu vermeiden.
  • Wenden Sie das Reißverschlusssystem an.
  • Achten Sie immer auf den empfohlenen Sicherheitsabstand.
  • Stellen Sie bei längeren Wartezeiten den Motor ab, bei einem Stillstand im Tunnel unverzüglich.
  • Fahren Sie an gesicherten Unfallstellen vorbei und fotografieren oder filmen sie dabei keinesfalls.
  • Schalten Sie den Verkehrsfunk ein und achten Sie auf entsprechende Informationen.
  • Vermeiden Sie jegliches „Kolonnenspringen“. Das verlängert die Dauer des Staus nur unnötig.
  • Helfen Sie bei der raschen Auflösung des Staus mit, indem Sie die Fahrt, sobald es möglich ist, gleichmäßig aufnehmen – unnötige Brems- und Beschleunigungsvorgänge sollten durch ein Anpassen des Sicherheitsabstandes möglichst vermieden werden.
  • Fahren Sie weiterhin konzentriert und vorausschauend.
  • Lassen sie sich nicht ablenken! Die Fahraufgabe hat gegenüber der Einholung von Verkehrsinformationen und der weiteren Routenplanung Priorität. Hier kann auch die Beifahrerin oder der Beifahrer helfen.

Lässt sich Stau verhindern?

Jein. In der Theorie ist es sicherlich möglich, Stau zu verhindern. In der Praxis ist das nahezu unmöglich. Dennoch gibt es einige Möglichkeiten Stau zu minimieren:

Wir als ASFINAG bemühen uns alle Strecken immer in einem guten Zustand und somit sicher zu halten. Dafür sind Baustellen unausweichlich. Manchmal sind solche Sanierungen nicht ohne Einschränkungen möglich. Dabei versuchen wir so oft es geht alle Spuren für den Verkehr befahrbar zu halten. (Mehr zum Thema Baustellen lesen Sie in diesem Artikel.)

Natürlich bauen wir unser bestehendes Streckennetz, wo es die Verkehrszahlen erfordern und der nötige Platz vorhanden ist, weiter aus. Aktuell zum Beispiel auf der A 4 Ostautobahn.

Auch die Verkehrswende ist ein interessantes Mittel zur Stauvermeidung. Hier ist besonders der Ansatz interessant, den Schwerverkehr teilweise von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Dieser Ansatz ist jedoch durch die vielen Beteiligten und potenziellen gesellschaftlichen Folgen überaus kompliziert und langwierig. Schon heute möglich: Mit dem österreichweiten Routenplaner, den wir in Kooperation mit der Verkehrsauskunft Österreich bereitstellen, können Sie sich jederzeit über Alternativen (seien es klassische Öffentliche Verkehrsmittel, oder aber auch beispielsweise Park+Ride-Kombinationen sowie „Leihvarianten“ wie z.B. TIER e-Scooter) informieren und den für Sie komfortabelsten Weg herausfinden. 

Innovative Technologien könnten in Zukunft die Staugefahr drastisch senken. Fahrzeuge und Verkehrsbeeinflussungsanlagen, die miteinander kommunizieren und den Verkehr automatisiert regulieren, sind eine realistische Zukunftsvision – auch wenn es noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern könnte.

Am besten lässt sich Stau also durch das Ändern des eigenen Fahrverhaltens vermeiden. Nicht nur Phantomstau wird so reduziert, auch Unfälle bleiben als Stauursache aus. Hierzu steht seitens ASFINAG ein breites Portfolio an Verkehrsinformationen (wie z.B. WebcamsASFINAG App, oder auch eine Übersicht aktueller Grenzwarte- und Reisezeiten).

  • Informieren Sie sich rechtzeitig vor Fahrtantritt über das aktuelle Verkehrsgeschehen.
  • Halten Sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen.
  • Achten Sie auf ausreichend Sicherheitsabstand zum voranfahrenden Fahrzeug.
  • Wenden Sie das Reißverschlusssystem korrekt an.
  • Fahren Sie rechts.

Denken Sie immer daran: Fahren Sie lieber etwas früher los. So kommen Sie entspannter an Ihr Ziel. Wir wünschen Ihnen eine gute und sichere Fahrt!

Martin Binder
Martin Binder

Strategy Owner Verfügbarkeitsstrategie

Martin Binder arbeitet seit 2015 Jahren in der ASFINAG und ist als Strategy Owner in der Konzernsteuerung für die Verfügbarkeitsstrategie zuständig. Sein Ziel ist es, die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nachhaltig sicherzustellen. Das beinhaltet klassische Maßnahmen der Netzerweiterung, wie auch alternative und innovative Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsablaufs. Er ist passionierter Radfahrer und verbringt seine Freizeit gerne in den Bergen.