Sicherheit durch neue Vermessungstechnik: Wie wir Bauwerke „im Vorbeifahren“ auf ihren Zustand überprüfen
Wer schon einmal unser Streckennetz in gebirgigen Gebieten genutzt hat, kennt sie sicherlich: Stützmauern. Diese meist unscheinbaren Bauwerke stützen unter anderem Hänge und Böschungen, damit Sie sicher an Ihr Ziel kommen. Damit das auch so bleibt, sind regelmäßige Inspektionen unumgänglich.Instandhaltung bedeutet Sicherheit
Unser Streckennetz mit knapp 2.250 km Länge umfasst eine Vielzahl an Infrastrukturbauwerken: Brücken, Tunnel oder auch Stützmauern. Gerade in gebirgigen Regionen bilden diese das Rückgrat der Verkehrsinfrastruktur. Sie sorgen für ein rasches Vorankommen und erhöhen die Sicherheit. Aber auch die Streckenverfügbarkeit für den Waren- und Personenverkehr hängen von der Standsicherheit dieser Bauten ab. Regelmäßige Prüfungen dienen dazu, den Bauwerkszustand zu beurteilen und falls notwendig, Sanierungsmaßnahmen einzuleiten.
Die große Anzahl an alternden Bauwerken, steigende Verkehrszahlen und zunehmende Extremwetterereignisse stellen uns mit den Instandhaltungsarbeiten vor große Herausforderungen: Wie können wir die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden gewährleisten? Wie können wir den Verkehrsfluss während der Prüfungen sicherstellen?
Vor diesem Hintergrund können Innovation und neue Technologien Antworten darauf geben, wie in Zukunft Mängel und Schäden an Infrastrukturbauwerken noch rascher und effizienter erkannt werden können.
Monitoring von Stützbauwerken
Stützbauwerke sind dauerhafte Sicherungen von Böschungen und Hängen, meist in Form von festen Mauern oder Wänden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass diese Stützbauten dem Druck, dem sie ausgesetzt sind, auch standhalten können. Neben offensichtlichen Schäden, wie etwa Rissen, stellen geometrische Veränderungen an Stützbauwerken ein wesentliches Schadensbild dar.
Was sind solche geometrischen Veränderungen? Das können Neigungen, Verformungen und Setzungen sein. Diese werden meist über Vergleichsmessungen zu optischen Fixpunkten an den Mauern abgeleitet. Ganz praktisch heißt das: Wir suchen uns einen Punkt oder mehrere Punkte, die sich nicht bewegen und vergleichen sie mit fixen Punkten auf den Stützmauern. So können wir lagemäßige Veränderungen erfassen. Es werden auch Punkte in der Mauer markiert und ihre Lage und Höhe vermessen. In regelmäßigen zeitlichen Abständen werden diese wieder in Bezug auf Lage und Höhe vermessen. Ein Vergleich dieser Messungen zeigt, ob sich diese Punkte in der Lage oder Höhe bewegt haben oder nicht.
Das Beobachten und Vermessen solcher Verformungen erfordert in der Regel das Sperren eines gesamten Fahrstreifens. Aufgrund des hohen Personal- und Zeitaufwands wird diese Sonderprüfung nur an ausgewählten Bauwerken und mit zeitlichem Abstand durchgeführt. Eine engmaschige, flächendeckende Kontrolle aller 1.814 Stützbauwerke in unserem Streckennetz ist daher schwierig.
Genau aus diesem Grund widmen wir als ASFINAG und die TU Graz, Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme, uns der Messung solcher Verformungen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt: „Überwachung bestehender Stützbauwerke mittels dynamischem Laserscanning in der Steiermark“. Das Laserscanning ermöglicht die Vermessung von großflächigen Bereichen innerhalb kürzester Zeit und ohne zusätzliche, temporäre Sperren von Fahrstreifen.
High-End-Systeme für die Bauwerkskontrolle
Unsere grundlegende Idee ist es, Daten über das Stützbauwerk aus einem vorbeifahrenden Auto, das sich dem Verkehr nahezu anpasst, zu erfassen. Auf dem Dach des Autos befindet sich ein kommerziell erhältliches Mobile Mapping System (MMS https://de.wikipedia.org/wiki/Mobile_Mapping). Derartige Systeme bestehen aus:
- GNSS-Antennen (ein Empfänger für globale Navigationssatellitensysteme, der aus Satellitensignalen die eigene Position bestimmt)
- einer inertialen Messeinheit (eine räumliche Kombination unterschiedlicher Sensorenwerte)
- einem Radsensor (erfasst die Drehzahl der Räder und sendet diesen Wert an das Steuerungsgerät)
- hochqualitativen Laserscannern
- Kameras
Im Prinzip wird die gesamte Umgebung während der Fahrt mit Laserstrahlen hochfrequent abgetastet und dadurch ein 3D-Abbild generiert. So entstehen sehr detaillierte und anschauliche Modelle, die eine genaue Bewertung des Zustands des Bauwerks zulassen.
Im Projekt mit der TU Graz kommen verschiedene Systeme von Industriepartnern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Einsatz. So untersuchen wir die optimale Konfiguration zur Datenaufnahme.
Intelligente Datenauswertung als Schlüssel zur Skalierbarkeit
Im Regelfall liegt die absolute räumliche Genauigkeit dieses georeferenzierten 3D-Modells im Bereich von wenigen Zentimetern bis Dezimetern. Um den Anforderungen für das Monitoring von Stützbauwerken gerecht zu werden, werden die hohen Nachbarschaftsgenauigkeiten in den Scan-Daten genutzt. Dabei werden die geometrischen Veränderungen der nahegelegenen Bildpunkte miteinander verglichen. Dabei spricht man auch von einer inneren Orientierung.
Die Datenauswertung beruht auf speziell entwickelten Algorithmen, welche zustandsrelevante Parameter, wie Neigungen und Verformungen, automatisiert berechnen. Damit sollen die großen Datenmengen, die innerhalb kürzester Zeit anfallen, möglichst rasch verarbeitet und für den prüfenden Ingenieur aufbereitet werden. Das heißt, die Technik bewertet den Zustand der Stützbauwerke nicht alleine, sondern es sind immer erfahrene Techniker:innen, die aus den gesammelten Daten und Modellen die entscheidenden Schlüsse ziehen.
Auf der Strecke im Einsatz
Die Geräte und Methoden aus unserem Forschungsprojekt kommen für die verformungstechnische Bewertung seit 2018 zum Einsatz. Dabei wurden ausgewählte Stützmauern auf den Autobahnen und Schnellstraßen scantechnisch erstgemessen und mit weiteren Folgemessungen die Stabilität bestätigt. Unter anderem waren das Stützmauern an der A 2 Südautobahn in Fahrtrichtung Wien, an der S 6 Semmering Schnellstraße Richtung Sebenstein oder auch der S 35 Brucker Schnellstraße in Fahrtrichtung Graz.
Für das Forschungsprojekt wurden folgende Stützmauern ausgewählt:
Strecke | Richtungsfahrbahn | Objekt | km |
A2 Süd Autobahn | Wien | AW1 Ankerwand 1 | 212,532 – 212,745 |
A2 Süd Autobahn | Wien | AW2 Ankerwand 2 | 214,435 – 214,611 |
A2 Süd Autobahn | Wien | AW3 Ankerwand 3 | 214,832 – 214,984 |
S6 Semmering Schnellstraße | Seebenstein | AW05 entlang S6 bei Aue | 20,702 – 21,035 |
S6 Semmering Schnellstraße | St. Michael | SW-76,75 Stützwand Tanzenbergtunnel Westportal | 76,700 – 76,800 |
S6 Semmering Schnellstraße | Seebenstein | AW-81,722 AW bei Portal Ost Tunnel St. Ruprecht | 81,708 – 81,738 |
S6 Semmering Schnellstraße | Seebenstein | AW-86,2 Ankerwand ÖBB-Querung | 86,105 – 86,250 |
S6 Semmering Schnellstraße | Seebenstein | AW-91,75 Ankerwand Leoben Ost | 91,750 – 91,850 |
S35 Brucker Schnellstraße | Graz | SK5/R Hangsicherung Haltebucht | 13,662 – 13,710 |
S35 Brucker Schnellstraße | Graz | SK6/R Hangsicherung I | 13,815 – 13,971 |
S35 Brucker Schnellstraße | Graz | SK7/R Hangsicherung II | 13,983 – 14,150 |
S35 Brucker Schnellstraße | Graz | SK9/R Hangsicherung vor Brücke S10 | 14,230 – 14,426 |
Durch den Einsatz dieser neuen Technologie können wir in Zukunft deutlich flächendeckendere Prüfungen bei weniger Zeiteinsatz und weniger Verkehrsbehinderung durchführen und so genauere Daten zur Bewertung des Zustandes von Stützmauern generieren.
Damit zeigen wir nicht nur, wie neue Technologien den Arbeitsalltag effizienter gestalten, sondern erhöhen auch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden.
„Ich danke an dieser Stelle auch Slaven Kalenjuk für seine Unterstützung. Slaven Kalenjuk ist diplomierter Vermessungsingenieur der technischen Universität Graz. Seit 2017 ist er Universitätsassistent und Doktorand an der TU Graz am Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme. In seiner Forschung beschäftigt sich Herr Kalenjuk mit der Auswertung von mobilen Laserscanningdaten zum Monitoring von Stützbauwerken. Seine Forschungsarbeiten wurden 2019 mit dem Heinrich-Wild Preis ausgezeichnet.“