Die Statistik Austria veröffentlicht jedes Jahr im Sommer die Österreichische Unfallstatistik aus dem Vorjahr. Hier sehe ich mich selbst, als Verkehrssicherheitsexperte der ASFINAG, besonders gefordert. Es ist nicht immer einfach, die richtigen Schlüsse aus einer Statistik zu ziehen. Manchmal gibt es auch keine Antwort auf noch so einfach klingende Fragen. Manche Erkenntnisse erscheinen einem logisch, andere diskussionswürdig. Ich möchte Ihnen hier einen kleinen Einblick in unsere Erkenntnisse aus den vergangenen Unfallstatistiken geben. Lassen Sie sich überraschen, und werfen Sie schon mal Ihre Vorurteile über Bord.

Zahlen, Daten, Fakten – aber wo ist der Mensch?

Pro Jahr passieren rund 2.200 Unfälle auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen. Dabei werden circa 3.500 Menschen verletzt, fast 400 davon schwer und knapp 40 kommen dabei ums Leben. Genau 40 zu viel! Die Tendenz ist derzeit gleichbleibend. Liest man diese Statistik, stellt man sich zuerst folgende Frage: „Wirken all die Verkehrssicherheitsmaßnahmen und Verbesserungen an den Fahrzeugen und auf der Straße nicht?“ Doch – aber man muss auch berücksichtigen, dass der Verkehr auf den Autobahnen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat, seit 2013 sogar um 15 Prozent. Weiters haben die Autobahnen und Schnellstraßen bei uns in Österreich ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Somit lautet die Antwort: “Bei mehr Verkehrsdichte bleiben die Unfallzahlen relativ stabil“ – eigentlich ein erfreulicher Zustand.

Die Unfallumstände zeigen uns aber auch einen Wandel der Unfallursachen. Es sind nicht mehr die übermotivierten Rennfahrertypen, die in der Kurve rausfliegen, die die Statistiken anführen. Wer sind dann die Menschen, die auf der Autobahn das größte Risiko haben?

Wer verursacht Unfälle häufiger?

Männer oder Frauen? Junge oder Alte? Aus der Stadt oder vom Land?

Ein schneller Blick in die Statistik gibt uns den ersten Aufschluss, wer die Person mit dem höchsten Unfallrisiko ist:

  • Männlich
  • Pkw-Lenker
  • Um die 45 Jahre alt
  • Aus dem Umland großer Städte in Österreich
  • Fährt ein über zehn Jahre altes Mittelklasse-Auto mit circa 100 PS
  • Hat etwa 150.000 km am Tacho
  • Der Fahrzeugwert beträgt geschätzt rund 5.000 EURO

 

Blickt man noch tiefer in die Statistik lassen sich noch weitere Unterscheidungen treffen:

Eine der ersten Fragen zum Thema Unfallstatistik ist meistens die nach dem Geschlecht. Sie wird schon ganz am Beginn gestellt und auf den ersten Blick scheint die Beantwortung auch relativ eindeutig zu sein: Nur jede dritte getötete Person ist weiblich.

Aber so leicht ist es nicht, denn schauen wir uns die Daten genauer und getrennt nach Geschlechtern an, zeigen sich immer weniger Unterschiede! Auch bei den Frauen ist es mehrheitlich die Altersgruppe der 40 bis 60-Jährigen, die ein nicht mehr ganz neues Mittelklassefahrzeug fährt, die verstärkt bei Unfällen getötet oder verletzt werden. Die Anzahl der verletzten Frauen und Männer auf den Autobahnen und Schnellstraßen ist schon beinahe ident aber in puncto Unfallschwere - und vermutliche Hauptunfallverursacher - liegen die Männer doch merklich voran. Bei Unfallursachen wie Unachtsamkeit und mangelnden Sicherheitsabstand nähern sich die Geschlechter aber schon stark an.

Somit lässt sich sagen: Ja, es gibt Unterschiede in der Verkehrsbeteiligung, in Summe ist das Risiko einen Unfall zu verursachen für Frauen noch(!) geringer.

Leider immer noch Thema – Anschnallen

Kein großer Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich 2019 bei der Verwendung des Sicherheitsgurtes. Lag in den Jahren davor der nicht gegurtete Anteil der Männer signifikant über jenen der Frauen, so hat sich das in der Statistik der Schwerverletzten angeglichen. In etwa jede bzw. jeder zwölfte Schwerverletzte war nicht angegurtet. Noch schlimmer sind die Anteile bei den Getöteten. Im vergangenen Jahr lag der Anteil bei den den Getöteten gar bei 20 Prozent!

Beinahe skurril erscheint einem da fast der Markt an „Anti Gurtwarnern“ auf Online-Plattformen. (Die kleinen Stecker in der Gurtvorrichtung lassen den Alarmton im Auto verstummen, ohne dass sich die Lenkerin, der Lenker, dafür anschnallen muss.)

Leider gibt es immer wieder große Diskussionen über den Nutzen von Gurtsystemen beruhend auf Einzelfällen aus den 70er-Jahren. Klar ist jedoch: Jede und jeder ist für sich selbst verantwortlich. Die objektiven Chancen einen Unfall zu überleben, sind bei heutigen Fahrzeugen und heutigen Gurtsystemen definitiv um ein Vielfaches höher, wenn man sich anschnallt.

⭐ Deswegen sagen wir, was die Statistik eindeutig zeigt: Ja zum Gurt! ⭐

Unfallursache: Ablenkung und Unachtsamkeit

Die Unfallursachen Ablenkung und Unachtsamkeit haben überhöhte Geschwindigkeit schon lange als größtes Problem abgelöst. Bei 769 Unfällen, und damit 34 Prozent aller Unfälle auf Autobahnen und Schnellstraßen, werden Unachtsamkeit und Ablenkung als vermutete Hauptursache angegeben. Bei ziemlich genau der Hälfte dieser Unfälle kam es zu einem Auffahrunfall mit fahrenden oder stehenden Fahrzeugen.

Sind dabei Lkw, unabhängig ob mit oder ohne Verschulden, involviert, enden solche Unfälle oft tödlich.

Hier beginnt oft eine negative Dynamik: Ein kurzes und vom Verkehrsteilnehmenden als klein empfundenes Fehlverhalten – wie Ablenkung durchs Handy - wird bei einer hohen Verkehrsdichte immer öfter zum Problem. Kampagnen wie „Hallo Leben“ stärken das Bewusstsein von Verkehrsteilnehmenden, Fehlverhalten am Steuer zu erkennen. Gleichzeitig steigen die Quellen der Ablenkung täglich an. Sich nur auf das Fahren zu konzentrieren, wird den Fahrerinnen und Fahrern immer schwieriger gemacht.

⭐ Daher sagen auch wir, was die Statistik sagt: Nein zum Handy am Steuer! ⭐

Unfallursache Abstand

Das ständig steigende Verkehrsaufkommen spüren nicht nur alle Pendlerinnen und Pendler. Man kann es auch in der Unfallstatistik sehen. Die Unfälle mit nur einem beteiligten Fahrzeug nehmen zahlenmäßig ab, während die Zahl der Auffahr- und Spurwechselunfälle langsam steigt. Mangelnder Sicherheitsabstand und Unachtsamkeit sind hier die wesentlichen Faktoren. Sehr interessant dabei: Bei der Hälfte aller Auffahrunfälle wird auf fahrende Fahrzeuge auf einer geraden Strecke aufgefahren. Das spricht eindeutig gegen die Multitasking-Fähigkeit, wie so manche Verkehrsteilnehmende im Stop&Go-Verkehr von sich behaupten. Hier lässt sich eine leichte Tendenz zwischen den Geschlechtern erkennen: Zu geringer Sicherheitsabstand ist anteilsmäßig bei den Lenkerinnen sogar höher. Wer hätte das gedacht?!

Was sagt denn nun die Statistik?

Oftmals bestätigen die Statistiken unsere vorhandene Meinung und Erfahrung. Das Risiko bestimmt aber letztlich jede und jeder selbst mit ihrem und seinem persönlichen Handeln. Alter, Geschlecht, Beruf, Wohnort und vieles mehr beeinflussen die Risikobereitschaft dann noch positiv oder negativ.

Das wichtigste Ziel unserer Arbeit mit den Statistiken, ist die Prävention. Nur wenn wir die wesentlichen Zusammenhänge verstehen, können wir das hohe Sicherheitsniveau unserer Autobahnen weiter erhöhen. Das geht alles Schritt für Schritt und jeder davon ist es wert, denn es geht um Menschenleben.

Bernhard Lautner
Bernhard Lautner

Verkehrssicherheitsexperte und Strategy Owner der ASFINAG für Verkehrssicherheit

Hat als Mautprojektleiter vor fast zwanzig Jahren in der ASFINAG begonnen und ist seit 2005 für die Verkehrssicherheitsarbeit in der ASFINAG verantwortlich. Dazu gehört die statistische Aufbereitung von Unfallstatistiken, Gutachten und Stellungnahmen, Betreuung von Verkehrssicherheitsprojekten und Innovationen sowie das ASFINAG Verkehrssicherheitsprogramm 2030. verkehrssicherheit.asfinag.at